Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule

Bandscheibenvorfall in der LWS

Warum du vor dieser Diagnose keine Angst haben musst – dein Körper kann mehr, als du denkst.

Physiotherapeutin

Michelle Huber

Physiotherapeutin

Das Wichtigste zuerst:

  • Bandscheibenvorfälle können unerkannt und symptomlos sein
  • Die Bandscheibe ernährt sich über Be- und Entlastung
  • Mindestens die Hälfte aller Bandscheibenvorfälle heilt spontan selbst (Zhong, 2017)
  • Risikofaktoren wie Alter, Übergewicht, Bewegungsmangel, fehlende Bewegungsvariabilität begünstigen einen BSV in der LWS



Es passierte beim Umzug seines Sohnes: Herr M., Mitte 40, sportlich, aber wie so viele beruflich viel am sitzen, wollte nur schnell eine Kiste aus dem Flur heben. Eine kleine Drehung, ein Vorbeugen – nichts, was ihm fremd war. Doch in diesem Moment spürte er plötzlich einen stechenden Schmerz im unteren Rücken, der bis ins Bein ausstrahlte. Diagnose kurze Zeit später: Bandscheibenvorfall.

Klingt dramatisch? Ist es aber oft nicht. Denn auch wenn das Wort „Bandscheibenvorfall“ viele Menschen erschreckt, gehört er zu den häufigsten und meist gut behandelbaren Ursachen für Rückenschmerzen. Die meisten Fälle heilen ohne Operation – mit gezielter Bewegung, guter Aufklärung und etwas Geduld.


Das solltest du wissen

Was ist eigentlich eine Bandscheibe?
Eine Bandscheibe ist eine flexible, faserknorpelige Verbindung zwischen zwei Wirbelkörpern der Wirbelsäule. Menschen besitzen 23 dieser Bandscheiben, die ca. 25% der Länge der gesamten Wirbelsäule ausmachen.

Bandscheiben bestehen aus zwei Teilen:

  1. dem äußeren Faserring (Anulus Fibrosus) 
  2. dem inneren Gallertkern (Nucleus Pulposus)
Während der äußere Faserring aus relativ festen Fasern besteht, enthält der Gallertkern knapp 80-85% Wasser. Wenn diese gallertartige Flüssigkeit austritt, sprechen wir von einem Bandscheibenvorfall (Prolaps).

Diese Strukturen sind wichtig für die folgende Einteilung der Bandscheibenveränderungen.

  1. Protrusion, die häufigste Variante.
    Faserring intakt, nur nach außen gewölbt, Nucleus pulposus bleibt innerhalb der Bandscheibe
  2. Extrusion
    - Riss im Faserring. Der Nucleus pulposus tritt aus, bleibt aber mit der Bandscheibe verbunden
  3. Sequestration
    - Ausgetretenes Material ist komplett abgetrennt von der Bandscheibe
Je größer der Bandscheibenvorfall, desto schlimmer, oder?
Viele Bandscheibenvorfälle – insbesondere extrudierte oder sequestrierte Formen – können sich nachweislich spontan zurückbilden. Das bedeutet je schwerer der Bandscheibenvorfall, desto wahrscheinlicher ist seine Regeneration. Die Prognose unter passender konservativer Behandlung ist daher trotzdem oft sehr gut, solange keine Redflags (s.u.) vorhanden sind (Chiu et al., 2022; Rashed et al., 2023).



Symptome

Neben Rückenschmerzen sind weitere Symptome sehr typisch für einen Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule: 

  • Sensibiliätsstörungen im Rücken, teilweise bis ins Gesäß oder Bein 
  • ausstrahlende Schmerzen bei Beugung oder Rotation der Wirbelsäule
  • Lähmungserscheinungen in Rücken und Beinen
Selten gibt es aber auch Symptome und Anzeichen wie:
  • Inkontinenz oder Schwierigkeiten, den Stuhl zu halten
  • Taubheitsgefühle /Gefühllosigkeit in Beinen und / oder im Genitalbereich
  • Ein Unfall mit hoher Krafteinwirkung
    Diese seltenen Symptome gelten als sogenannte Redflags und bedeuten die Notwendigkeit einer sofortigen ärztlichen Abklärung sowie einer Therapieunterbrechung.

3 typische Unterschiede zwischen BSV und Hexenschuss

BandscheibenvorfallHexenschuss
Dauer> 7 Tage< 7 Tage
NervEvtl. Ausstrahlung und/oder TaubheitKeine Ausstrahlung
SymptomverlaufAusgeprägte MorgensteifigkeitUnabhängig von der Tageszeit



Wie entsteht ein Bandscheibenvorfall?

Die Bandscheibe ernährt sich durch Be- und Entlastung. Beides sollte optimalerweise im Einklang sein. Ist dies nicht der Fall und wir haben zu oft wiederholte einseitige Belastungen, kann es zur Degeneration der Bandscheiben kommen. Dann werden wir anfälliger in diesem Bereich, besonders wenn andere Einfluss-/Risikofaktoren wie:

  • Übergewicht
  • Bewegungsmangel
  • Rauchen
  • schlechte Regeneration über z.B. zu wenig Schlaf
  • Stress
  • … 
zusätzlich gegeben sind.

Ein wiederkehrendes Muster, das Betroffene oft zum Unfallhergang beschreiben, ist die Kombination aus starker Beugung und zeitgleicher Last, teilweise auch in Kombination mit zusätzlicher Rotation und Seitneigung. Diese Bewegungsmuster haben wir beispielsweise wenn wir:

  • das Kind aus dem Autositz heben
  • etwas seitlich vom Boden aufheben
  • putzen oder staubsaugen
  • im Garten arbeiten
  • Geschirrspüler ausräumen
  • Wäsche aus der Waschmaschine nehmen
Doch sollten wir deshalb nie mehr mit rundem Rücken heben und besagte Bewegungen im Alltag vermeiden? Nein. Denn häufiges Beugen ist für eine gesunde Wirbelsäule kein Problem (Contreras & Schoenfeld, 2011). Dennoch kann es sinnvoll sein Bewegungen, die akut provozieren, vorübergehend zu vermeiden. Beispielsweise die Beugung der LWS, wenn diese aktuell deine Schmerzen auslöst. Ziel einer erfolgreichen Reha ist jedoch immer, dass du entsprechende Bewegungen in Zukunft wieder schmerzfrei, bestenfalls unter Last, ausführen kannst. 

Zusammenfassende Erkenntnisse und Empfehlungen

Nimm Risiko- und Einflussfaktoren im Alltag wahr: Hast du zu viel einseitige Belastung im Alltag auf deine Strukturen? Hast du seit Wochen einen schlechten Schlaf, wachst unausgeglichen auf oder bist dauerhaft gestresst? Wurde die Ernährung aufgrund von Zeitmangel in den letzten Wochen etwas vernachlässigt? Schritt 1 ist es das zu erkennen, Schritt 2 daran zu arbeiten. So hast du bereits präventiv einen guten Einfluss auf deine allgemeine sowie Rückengesundheit.

Vermeidung ist keine dauerhafte Lösung: Viele Menschen verschiedenen Alters vermeiden es grundsätzlich, oder besonders nach einer Verletzung, mit rundem Rücken zu heben oder schwerere Lasten zu tragen. Doch das schränkt einen dauerhaft im Alltag ein und macht einen abhängig von anderen. Mach nicht dein Alter oder deine bisherigen Erfahrungen und Verletzungen verantwortlich für deine fehlende Belastbarkeit, sondern lerne und übe Schritt für Schritt wieder das, was die letzten Wochen oder Monate eingeschränkt war. So bleibst du selbstständig und brauchst keine Angst mehr vor bestimmten Bewegungen haben.


Fazit: Kenne die Redflags, aber bleib erst mal zuversichtlich

Ein Bandscheibenvorfall ist selten so gravierend, wie er in der öffentlichen Wahrnehmung dargestellt wird. Wenn du bei dir einige der oben genannten Symptome erkennst, wende dich zunächst an deinen Hausarzt oder Orthopäden. In vielen Fällen sind die Beschwerden so eindeutig und durch einfache Tests reproduzierbar, dass du dich auch ohne ein bereits vorhandenes MRT in eine gezielte physiotherapeutische Behandlung begeben kannst. Die Chancen stehen gut, dass du deine Beschwerden ohne operative Maßnahmen in den Griff bekommst. Wie bereits beschrieben, regenerieren sich viele Bandscheibenvorfälle mit der Zeit – insbesondere dann, wenn die auslösenden Faktoren reduziert und gleichzeitig angepasste, schmerzorientierte Bewegungen beibehalten werden.


Prävention beginnt dort, wo Reha aufhört oder noch nicht nötig war


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Quellen

Chiu, C. C., Chuang, T. Y., Chang, K. H., Wu, C. H., Lin, P. W., & Hsu, W. Y. (2015). The probability of spontaneous regression of lumbar herniated disc: A systematic review. Clinical Rehabilitation, 29(2), 184–195. https://doi.org/10.1177/0269215514540919 

Contreras, B., & Schoenfeld, B. (2011). To crunch or not to crunch: An evidence-based examination of spinal flexion exercises, their potential risks, and their applicability to program design. Strength and Conditioning Journal, 33(4), 8–18. https://doi.org/10.1519/SSC.0b013e3182259d05

Kade, F. (2024). Schmerzanalyse bei Rückenschmerzen [Online-Kurs]. https://www.felixkade.de/schmerzanalyse-bei-rueckenschmerzen-onlinekurs/

Rashed, S., Vassiliou, A., Starup‑Hansen, J., Tsang, K., & Chiu, C. C. (2023). Systematic review and meta-analysis of predictive factors for spontaneous regression in lumbar disc herniation. Journal of Neurosurgery: Spine, 39(4), 471–478. https://doi.org/10.3171/2023.6.SPINE23367

Zhong, M., Liu, J. T., Jiang, H., Mo, W., Yu, P. F., Li, X. C., & Xue, R. R. (2017). Incidence of spontaneous resorption of lumbar disc herniation: A meta-analysis. Pain Physician, 20(1), E45–E52. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28072796